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Susanne Altmann:
„Dresden–Paris–Goslar, Kinetische Kunst von Roland Fuhrmann“

Dresdner Kulturmagazin, Juli 2000.

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„In den Elektrizitätswerken der Stadt Halle fährt ein Paternoster der besonderen Art. ‚Lichtbegegnung‘, die kinetische Skulptur des gebürtigen Dresdners Roland Fuhrmann, zieht sich als gläserne Röhre vom Parkhaus bis zum Dach durch fünf Stockwerke. Natürlich mussten Boden und Decken durchbohrt werden, um die transparente Stele zu ermöglichen. In ihrem Innern bewegen sich gemächlich vereinzelte Glühlampen durch das Gebäude, fahren zwölf Minuten aufwärts und genauso lange abwärts, und hin und wider begegnen sich zwei von ihnen. Ihr Licht scheint sich in diesem Moment zu addieren und flammt kurz auf, und ebenso abrupt, wie sie begonnen hat, ist die ‚Lichtbegenung‘ wieder vorüber.
Dramaturgie und Symbolik dieser Arbeit sind zurückhaltend und subversiv zugleich: Elektrisches Licht passt als Metapher einerseits sehr wohl in die Zentrale der Stadtwerke. Dann wiederum findet keine Feier des Phänomens statt, sondern eher Irritation. Die Institution wurde schlicht durchlöchert, die Lichtquellen verweigern sich, tauchen nach dem Zufallsprinzip auf und wieder ab, ironisieren die hehre Idee von der leuchtenden Lebensader, die der erste Blick vorschlägt.
Eine Gleichnishaftigkeit zu erreichen, die sich zunächst am Gegenstand orientiert, aber dann ins Ironische oder gar Surreale umkippt; das ist erklärtes Ziel des Wahlberliners, temporären Hallensers und Parisers. Seine subtilen mechanischen Interventionen befinden sich in nobler Gesellschaft, denken wir nur an Rebecca Horn oder Ann Hamilton. Dabei verzichtet Fuhrmann fast völlig auf „sprechende“ Requisiten oder Readymades, sondern verlässt sich auf industrielle, kühle Ästhetik mit einem sinnlichen Kick.
Während ‚Lichtbegegnung‘ im letzten Jahr realisiert wurde, befindet sich im Moment ein weiteres mobiles Kunstwerk in der Endfertigung. Dass diese neue Arbeit ‚ORNISONORIUM‘ wiederum in Halle entsteht, mag biographische Gründe haben. Schließlich hat Fuhrmann bis 1995 an der Hochschule für Kunst und Design, der famosen Burg Giebichenstein, studiert, bevor er für zwei Jahre nach Paris siedelte. An der Ecole Nationale Supérieure des Beaux Arts begegnete er mit Christian Boltanski und Tony Brown zwei Lehrern, deren äußere Verschiedenheit enzymatisch auf seine eigenen Ideen wirkte. Während der emotionalisierende, narrative Geist Boltanskis bei Fuhrmann eher in Arrangements aus stetreometrischen Fotografien durchscheint, atmen die sachlichen Mechaniken ein wenig mehr vom Rationalismus des britischen Plastikers Brown.
Derlei Einfluss–Theorien, wenn sklavisch verfolgt, ersticken das Originäre eines Künstlers gemeinhin unter Bergen von Verweisen. Im Falle von ‚ORNISONORIUM‘ freilich sind es gerade jene beiden Pole von konstruktiver Nüchternheit und vielsagender Symbolik, zwischen denen sich Drähte für Hightech-Gondeln spannen. Durch zentrale Räume des Fachbereichs Informatik (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) gleiten in Kürze sonderbare Module, aus denen Vogelgezwitscher schallt. Ausgerechnet in diesem ultimativen Labor der Künstlichkeit wird dieselbe auf die Spitze getrieben und in beklemmender Weise eine heile Welt simuliert. Dieses Szenario bietet Ersatz dergestalt an, als wären für die Natur selbst bereits alle Messen gelesen. Hier wird für die Zukunft geforscht, ungerührt und effektiv – genauso wie die synthetische Nachtigall, die vorüberzieht, offenbar in der Wand verschwindet und den Informatikern der nächsten Generation ihren Frohsinn anschließend in der Cafeteria vermittelt.
Doch warum erzählen wir das alles? Für seine ‚konzeptuellen Maschinen‘ erhielt Roland Fuhrmann im März eine begehrte Würdigung. Wenn das Mönchehaus-Museum für Moderne kKunst in Goslar alljährlich seinen ‚Kaiserring‘ an etablierte KünstlerInnen (Rebecca Horn!, Alexander Calder, Christo, Ilya Kabakow, Cindy Sherman u.v.a.) vergibt, gedenkt es seit einiger Zeit den Newcomern der Szene. Und so ging das Kaiserring-Stipendium als Pilot zum Hauptpreis (Sigmar Polke 2000) an den mechanicus creativus aus Dresden. Wiewohl sich Roland Fuhrmann mit seinen Installationen bislang merklich musealen Kontexten widersetzt hat – die herbstliche Ausstellung im Mönchehaus-Museum wird ihm eine Freude sein (bevor er erneut gen Gallien strebt).“ Susanne Altmann