1 Roland Fuhrmann » 2000 Gerrit Gohlke: Die Austreibungsmaschinerie, Vockerode, Expo 2000

Gerrit Gohlke:
„Die Austreibungsmaschinerie“

Katalogtext zur Ausstellung ‚www.vockerode-art.de‘
zur EXPO 2000 im Kraftwerk Vockerode, 2000.

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„Für das ‚ortsspezifische’ Event ist der Bau, in dem es Platz nimmt, ein Resonanzinstrument. Der ästhetische Eingriff gleicht dem Anschlag eines Tons, mit dem man die Klangqualität eines Fundstücks erprobt. Uns so ist der bestmögliche Einpassungserfolg, mit dem die Kunst die Aneignung einer eben demontierten Industriearbeitsstätte betreibt, die wortwörtliche Bespielung der Architektur. Neben der schauerlich entleerten Maschinenhalle sind in Vockerode nur noch Resteingeweide verblieben, sechs Dampfkessel wie stählerne Kirchturmspitzen, die als zwecklose Gefäße in einem Seitenschiff des Gebäudes stehen. Es scheint nicht viel anders denkbar, als andauernd an ihre Wände zu schlagen, gewissermaßen einen Scheinklang im Wrack zu erzeugen, als letzten Reflex einer verblichenen Vitalität. Der Berliner Künstler Roland Fuhrmann hat im ehemaligen Großkraftwerk Elbe 50 maschinelle Module installiert. Sie heften als parasitäre Maschinen an den Kesseldecken und erzeugen Echos eines untergegangenen Lärms einer untergegangenen Produktivität. Jedes maschinelle Modul besteht selbst aus einem Werkzeug. Eine exzentrische Scheibe hebt einen Hammer an, der klanggebend auf die Stahlwand fällt. Das ist nicht das Requiem auf einen industriellen Moloch, in dem am Ende noch 800 Menschen in Lohn und Arbeit standen. Es ist vielmehr eine melancholische Pointe auf die Intervention der Kunst, wenn 50 geringfügige Hämmer auf eine monumentale Befeuerungsanlage schlagen, nicht um der Arbeit willen, sondern im Vollzug einer Partitur.
Der Effekt in der nachbarlichen Maschinenhalle gleicht einem Blick vom Ufer aufs Meer. Die ganze Länge des Gebäudes wird von einem dreiminütig anschwellenden Klang erfüllt, als sollte auf die Dampfwalzwerke und Werkstätten eines antiquierten malerischen Realismus angespielt werden. Das leere Gebäude wird in seinen Abmessungen anschaulich. Drei Minuten lang folgt jedes Modul seinen spezifischen Intervallen. Die Klänge verdichten sich zu einem industriellen Lärm. Anschließend herrscht 30 Minuten Stille. Danach beginnt alles von vorn. Der Standpunkt der Betrachtung ist gleichgültig für diese Installation. Das Hören beginnt so unwillkürlich wie es von selbst wieder erstirbt. Zugleich mit der Reverenz daran, dass ein ausgeweidetes Kraftwerk das Ende von Arbeit ist, erklärt sich mit Fuhrmanns Arbeit die Einsicht in die ephemere Rolle der Kunst.“ Gerrit Gohlke