„Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum finden nicht immer ungeteilte Zustimmung. Bei der Kunst für das Gebäude der Chemischen Institute und Institute für Wasserwesen auf dem Campus der TU Dresden, einer großen Installation von farbigen Rundstäben, ist dies anders. ‚Einfach toll!‘, ‚Schöne Arbeit – weiter so.‘, ‚gross, aber schön. Kunst noch schöner!‘, ‚Großer Wurf!‘ und ‚wunderbares Schauspiel.‘ Solche Kommentare auf den Webseiten des BauNetz und der Printmedien bringen den positiven Eindruck, den die raumästhetische Stimmigkeit der Kunst hinterlässt, ebenso zum Ausdruck wie ihre Wahl unter die Bilder des Tages auf den Internet-Nachrichtenseiten des ARD. Auch die Architekten des Gebäudes, Klein & Sänger, waren davon angetan; sie machten die Kunst am Bau zum Motiv ihrer Neujahrskarten und luden den Künstler, Roland Fuhrmann, zum Kunst-am-Bau-Wettbewerb für ein neues Bauprojekt ein.
Was so gefällt, ist die Kunst am Bau im Atrium des Instituts, das fünf Geschosse verbindet und zentrales Raumereignis des aus mehreren Flügeln bestehenden Gebäudes ist. Der in Berlin lebende Künstler Roland Fuhrmann hat dieses als Verlängerung der Eingangshalle aus dem ersten Bauabschnitt konzipierte Atrium für die Gestaltung genutzt, die er als „impressionistisches Raumgemälde“ und als „Spektralsymphonie“ bezeichnet.
Fas 1.500 Röhren aus spezial angefertigtem Borosilikatglas hängen an unterschiedlich langen Edelstahldrahtseilen in elf Reihen quer zur Hauptblickrichtung in der Halle von der Decke herab. Sie sind jeweils 70 Zentimeter lang und im Durchmesser 3,4 Zentimeter stark. Bei einer Gesamtlänge von 30 Metern, einer Breite von 3,35 Metern und einer Höhe von 15 Metern bilden die mit partiell lichtdurchlässigem Mineralfarbpigmenten versehenen Stäbe einen bunten Farblichtraum von über 1.500 Kubikmetern.
Dabei kommt es zu einer intensiven Interaktion der Farben. Es entstehen Kraftfelder und Energien und ein atmosphärisch übergreifendes ästhetisches Flirren. Der Luftraum über dem Atrium wird zu einer optischen Spielwiese der seriell gereihten Rundstäbe, deren 40 Farben sich im Miteinander zu potenzieren scheinen. Die Bewegung der Menschen im Institut trägt zur Vielfalt der Eindrücke bei. Und auch das Sonnenlicht, das die Farben zum Leuchten bringt und an Wänden und Boden für lebhafte Schatten sorgt, ist in die allgegenwärtige Wirkung der Kunst mit einbezogen.
Wie der Titel der Arbeit, ‚Spektralsymphonie der Elemente‘, sagt, sind die Farben dieser minimalistischen Installation keine poetische Setzung und nicht aus freier künstlerischer Imagination geschöpft. Ihre Kunst-am-Bau-spezifische Inspiration verdankt sie dem Gebäude, hier einer naturwissenschaftlichen Erkenntnis, die mit dem Fachgebiet des Institutes zu tun hat. Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckten Robert Bunsen und Gustav Robert Kirchhoff das sogenannte Linienspektrum aus Licht, mit dem jedes chemische Element bestimmbar ist und das auch als ’spektraler Fingerabdruck‘ der Elemente bezeichnet wird.
In einer hochästhetischen Inszenierung hat Fuhrmann, der seit 1998 baubezogene Projekte realisiert, Kunst und Wissenschaft zusammengebracht und die Linienspektren aller 99 Elemente – in der Reihenfolge ihrer Ordnungszahl im Periodensystem – in horizontaler Folge dargestellt. Dabei entspricht die jedem Element zugewiesene Anzahl der Glasrohre der Zahl der Linien, die das Element im Spektrum aufweist. Von Ultraviolett bis Infrarot ist das gesamte sichtbare Lichtspektrum dargestellt und in 40 Glasfarben unterteilt. Dem von ihnen gebildeten Farbraster sind die Spektrallinien der Elemente untergeordnet. Die Verteilung der Farbröhren erfolgt so, dass jeder Farbton im Raum der Halle die gleiche Koordinate hat.
Bei der Kunst des Atriums handelt es sich insofern um ein lebhaftes, aber doch reglementiertes Spiel farblicher Konfiguration. Beim Durchschreiten der Passage erschließen sich diese symbolisch als stets neue chemische Verbindungen. Unabhängig von der aus dem Gebäude bezogenen Inspiration und der thematischen Stimmigkeit der Arbeit laden die sinnliche Erscheinung, optische Leichtigkeit und farbige Vielfalt der ‚Spektralsymphonie‘ die Atmosphäre der Halle positiv auf. Solch eine ästhetische Beiläufigkeit ist eine Kunst-am-Bau-Tugend, deren vielfach unterschätzte Bedeutung hier zum Tragen kommt.“ Dr. Martin Seidel