„Meine sehr verehrten Damen und Herren,
es ist meine Aufgabe, hier ein paar einleitende Sätze zu den Arbeiten Roland Fuhrmanns zu sagen. Das ist einerseits keine ganz einfache Aufgabe, andererseits erledigt sie sich fast von selbst. Nicht ganz einfach ist sie, weil Roland Fuhrmann vor allem Arbeiten entwickelt, die im öffentlichen Raum nicht nur installiert werden, sondern die vorhandenen Räume mit technischer Finesse in Bewegung versetzten oder hörbar machen. Von eingriffen in Räume kann man erzählen, eigentlich aber muss man sie erlebt haben. Andererseits erledigt sich die Aufgabe von selbst, weil die Installationen keinem vorgefertigten Konzept, keiner vom Künstler mitgebrachten Anleitung folgen, sondern Werk für Werk Reaktionen auf örtliche Gegebenheiten sind. Es gibt kein theoretisches System, das in seinen Variationen aus den Arbeiten abzuleiten wäre. Es genügt, Installation für Installation selbst sprechen zu lassen. Die Konstante, die sich rasch herausstellt, ist weniger eine Art Handschrift in der Nutzung des Raumes als eine Haltung im Umgang mit dem Publikum. Roland Fuhrmann ist kein Regisseur der ausgreifenden Gesten und auftrumpfenden Präsentationen. Ihm ist eine Zurückhaltung eigen, in deren Folge die Arbeiten sich im Raum zu verselbstständigen scheinen. Es sieht ein bisschen so aus, als habe ihr Urheber sich aus ihnen leise verabschiedet. Das ist selbst dann der Fall, wenn die Installationen selbst keineswegs leise sind.
Als Roland Fuhrmann eingeladen war, in einem aufgegebenen, demontierten Kraftwerk bei Dessau [1] eine Arbeit zu installieren, die an die Geschichte dieser Industrieruine erinnern sollte, hat er das gesamte Bauwerk mit einem Klang erfüllt, der weder einen erkennbaren Urheber hatte, noch auf Anhieb zu lokalisieren war. Erst nach genauer Suche war für das Publikum eine Vielzahl mechanischer und motorgetriebener Hämmer auszumachen, die an die alten Kessel und Rohrverbindungen schlugen wie auf ein großes, rostiges Instrument. Nach einer exakten Partitur begannen die Hämmer zunächst vereinzelt, dann konzentriert und schließlich in einer beunruhigenden Kakophonie gewissermaßen die Eingeweide des Gebäudes wiederzubeleben. Das Kraftwerk war von einem Nachhall der alten Industriearbeit erfüllt. Da, wo Kunst nicht recht am Platz war, wo man sich nicht vorstellen konnte, was man dem monumentalen Bau und der wirtschaftlichen Misere noch hinzufügen sollte, kam die Architektur zum klingen, als sollten noch einmal
sämtliche Arbeitsstunden eines Kraftwerkslebens hörbar werden. Die vielen Hämmer ließen gemeinsam die Größe des umbauten und stillgelegten Raumes wie ein Naturereignis, wie einen belebten Körper erfahrbar werden. Es war sofort klar, dass zweierlei gelungen war: Der Künstler hatte sich ohne überflüssige Kommentare aus dem Gebäude verabschiedet. Und die Kunst war darauf beschränkt, der Geschichte ein Echo nachzuerzählen. Eine konstruktive Kritik an einer bestellten, kommentierenden Apercus hinterlassenden Kunst. Ein Industriegebäude in eine Art mechanisches Klavier zu verwandeln, ist geradezu typisch für Fuhrmann. Man erkennt eine Neigung zu den Apparaturen und Maschinen, der wie aus sich selbst betriebenen Mechanik, mit der sich schließlich sogar künstliche Singvögel entreiben lassen [2]. In der Universität zu Halle hatte Roland Fuhrmann einen Wettbewerb für das Informatik-Gebäude gewonnen. Die Arbeit ist so einleuchtend einfach wie technisch ausgefeilt. An zwölf 3 mm starken Drahtseilen durchqueren zwölf sogenannte Vogelmodule den Raum. Hoch oben verlassen die eigentümlichen, auf ihre Bauteile reduzierten Gebilde von Zeit zu Zeit dem Blick entzogene Einlassungen in den Wänden. Es handelt sich um Lautsprecherpaare, die an Rollen befestigt sind. Angetrieben durch Mikromotoren rollen sie aus ihren Gehäusen, fahren zur anderen Seite des Raumes und bringen unterwegs jedes eine andere Vogelstimme zu Gehör. Schöne neue Welt. Künstliche Lebewesen beim idyllischen Zwitschern im Institut für künstliche Intelligenz, jedes darauf konditioniert, sich in seine Nische zur Akku-Aufladung zurückzuziehen wie ein
verselbstständigtes Mobiltelefon. Eine Zeitschaltung lässt jeden dieser Baukastenvögel in seinem Versteck verharren, bis es Zeit für den nächsten Auftritt ist. Die Ladestation als Nest; das Idyll als intelligente Programmierung, der Vogel reduziert auf seine allgemeinsten Talente, so weit der Informatiker sich an die Natur erinnern kann. Böse Ironie. Zugleich aber eine verführerische Ironie, weil niemand den Künstler Fuhrmann sieht (auch seine Begeisterung für solide Akkus und digitale Speicherbausteine nicht), sondern die Installation als heitere Naturerscheinung auftritt, zunächst ganz unbekümmert zu genießen, bis man an ihrem automatisierten Sarkasmus Zweifel und Argwohn gegenüber dem Künstlichen entwickelt.
Man sieht schon, ich kann nichts dafür, dass die Arbeiten in der trockenen Nacherzählung einen Teil ihrer spielerischen Eleganz verlieren. Das liegt daran, dass sie von ihrer im Detail durchdachten technischen Verwirklichung leben, dass sie nicht Entwürfe, sondern Ausführungen sind, dass es ihnen an wichtiger Stelle um die akribische Realisierung einer bildhaft einfachen, reduzierten Idee geht. Die Installationen können so simpel wie ein einfaches, 21 m hohes Stahlseil sein [3]. Durchmesser 8 mm, drehbar gelagert. Schon wieder ein Motor. Diesmal dreht er das Seil um seine Achse, bis es schwingt. Und zwar schwingt es so, dass es als doppelspindelförmige Figur erscheint. Wenn diese Bewegungsfigur dann in einem Institut für Genetik erscheint, weiß man, worum es geht. Es ist die Andeutung einer DNA-Helix, die hier erscheint, geräuschlos und vibrationsfrei, künstlich hergestellt und in bedrohlicher Länge in Bewegung versetzt. Der ganze Raum ist von dieser schmalen, einfachen Figur beherrscht, obwohl das stetig schwingende Seil kaum wirklich sichtbar ist und 8 mm Durchmesser kein sonderlich dominantes Raummaß ist. Die Figur schwebt wie eine willkürliche, automatenhafte Variation auf den Lebensfaden, haarsträubend schnell um sich
selbst rotierend, beschleunigt und ruhelos, schön und schwindelig, bei längerer Betrachtung alptraumhaft. Wieder so eine einfache Idee, die abermals von der fehlerlos laufenden Apparathaftigkeit lebt. Auch diese Arbeit hat kein Anfang und kein Ende. Sie demonstriert wie alle diese Installationen eine gleichmäßige Harmonie, maschinelle Vollendung, die doch immer wie eine Warnung vor der Abwesenheit des Menschen wirkt.
So zum Beispiel in einem Hallenser Bürogebäude, dem der Stadtwerke genaugenommen, das seit 1998 durch 5 Etagen hindurch von einem fast 18 m hohen Glasrohr durchzogen wird (4). In ihm sind zwei Rollenketten aufgehängt, an denen 7 Zweifadenglühlampen durch das Gebäude fahren. sie kommen aus der Tiefgarage und kreuzen jedes Stockwerk. Immer nun, wenn sich ein aufwärts- und ein abwärtsfahrendes Licht begegnen, blenden beide auf, als hätten sie einander etwas zu signalisieren. das Aufleuchten wird durch Fotosensoren verursacht. Das Licht reagiert auf sein Gegenüber. Technische Kleinlebewesen als Achse eines Versorgungsunternehmens. Da könnte den Mitarbeitern ihre Aufgabe unheimlich werden. Das Pulsieren und Fließen spielt sich ohne sie ab. Die Lebensader durchschneidet die Architektur an einer störenden Stelle. Die Kunst macht nicht die Stadtwerke schön, sondern zeigt den Zweck der Stadtwerke als verselbständigtes Mirakel. Niemand der die Lichter steuert; sie brauchen niemanden.
Sie sind wie Roland Fuhrmanns übrige Großinstallationen abgenabelt, autark gewordene Metaphern eines technischen Strebens. Das ist eben nicht Kunst mit Technik, sondern Technik als reine Form, und zwar eine Form wie Natur, unerreichbar geworden für jede Intervention. Es stellt sich gar nicht erst die Frage, was das bedeutet, sondern die Technik und Form ist fraglos zuerst da. Sie ist ein Ereignis, aber eines, das schon stattgefundne hat, sie zeigt dem Beobachter, was er ist, nämlich Betrachter der Automaten, Apparate und Automatismen: Der ganz ohne ihn sich selbst genügenden Simulation und der schönen
neuen Welt. Genauso ist es auch bei der Installation, die Fuhrmann für Goslar entwickelt hat [5]. Er hat auf ein uraltes Verfahren zurückgegriffen, auf die stereoskopische Fotografi e. Ein Stereobildpaar wird mit zwei verbundenen Kameras aufgenommen und durch optische Hilfsmittel wie Linsen oder Spiegel für den Betrachter zur Deckung gebracht. Er sieht also vom idealen Standpunkt aus ein einziges Bild, und man sieht es plastische und in ungewöhnlicher Tiefe. Er hat die Illusion der Dreidimensionalität. Roland Fuhrmann hat das Verfahren nun aus der technisch-militärischen Fotografie auf die Porträtfotografie übertragen.
Sie sehen Porträts Berliner Künstlerinnen (keine Künstler) so tief und aus dem fl achen Bildraum hervortretend, dass sie plastischer und deutlicher wirken als im realen Raum. Es gibt keinen Zweifel. Es handelt sich um Präparate. Wie physiologische Exempel oder Ausstellungsstücke aus einem anatomischen Kabinett sehen die Gesichter, Haare, Augen, Schädelformen wirklich und zugleich leblos, echt und nachgebildet aus. Vor allem aber stehen wir näher vor ihnen als uns lieb sein kann. Sie wachsen uns durch technische Verzerrung entgegen. Wir berühren sie fast. Die optische Installation zwingt uns, bei der Suche nach dem richtigen, deckungsgleichen Blickpunkt, in die Intimsphäre der Gesichter vor uns einzudringen. Wie in der zeitgenössischen Großbildporträtfotografi e sehen wir jedes Detail der Physis, aber wir sehen es nah, unvermittelt, berührungsdicht, 1:1. Fuhrmann steht nicht zwischen ihnen und uns. Er hat uns in Gegenüberstellung gebracht. Er führt uns die Kunst beim Betrachtetwerden vor. Sie hat sich selbständig
gemacht. Mit geliehenen Gesichtern steht sie plastisch und leblos vor uns. Wir sehen mit der vergrößerten, unwahrscheinlichen Genauigkeit und authentischeren Simulation Masken vor uns, die so unwirklich real sind, dass wir uns bedrängt fühlen, und den verabschiedeten, zurückgenommenen Künstler schon vermissen.
So möchte ich Sie also einladen, ein Kunstwerk und einen Künstler kennenzulernen, bei dem es gerade nicht um die Ausführung eines Konzeptes geht, so durchdacht die Werke im einzelnen auch sein mögen, und so eloquent ihr Urheber sie auch beschreibt und erklärt. Lassen Sie sich vielmehr auf ein werk ein, in dem die Technik selbst eine eigene Wirklichkeit bildet wie in der übrigen Gesellschaft auch. Bei Roland Fuhrmann werden die Mittel zur Form. Aber nicht nur die technischen Mittel, sondern auch die Zwänge und Gegebenheiten ihrer Verwirklichung und Ausführung. Was man sieht, sind nicht nur Fotografien. Man sieht der Fotografie dabei zu, die Wirklichkeit zu übertreffen und dabei aus Körpern Präparate zu machen. Man sieht dem technischen Medium dabei zu, wie es sich in größter Bildhaftigkeit in den Mittelpunkt stellt. Bei der Erfahrung dieser doppelbödigen Schönheit wünsche ich Ihnen viel Vergnügen.“
Gerrit Gohlke
Erwähnte Arbeiten: [1] Künstler-Workshop Vockerode 2000, Ausstellungsprojekt der EXPO 2000 Sachsen-Anhalt; [2] „ORNISONORIUM“, Mobile und akustische Dauerinstallation im Gebäude des Fachbereichs Informatik und Künstliche Intelligenz der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2000/2001; [3] „Lebensfaden“, Mobile Dauerinstallation in der Glashalle des Institutes für Genetik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2000/2001; [4] „Lichtbegegnung“, Mobile Lichtinstallation im Gebäude der Stadtwerke Halle, 1998, Glasrohr 13 cm Durchmesser, 7 Glühlampen, an 2 endlosen Simplexrollenketten bewegt; [5] Stereoskopische Porträts Berliner Künstlerinnen, Installation mit Kunststoffspiegeln, Mönchehaus-Museum für moderne Kunst Goslar, 2000