1 Roland Fuhrmann » 2006 Christoph Tannert: Vom Lernen aus der Geschichte

Christoph Tannert:
„Vom Lernen aus der Geschichte“

Katalogtext zu VALUTA,
Einzelausstellung im Museum Goch, 2006.

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„Darf man aus dem Bundesadler einfach einen Flügel spreizenden Flattermann machen, so wie das die Infunktionssetzung von Roland Fuhrmanns ‚Großem Hampelmann‘ nach sich zieht? Wer will aus dem Korb aller Grundrechte die Freiheit der Kunst über ihre Grenzen hinaustragen? Hat diese Freiheit nicht immer auch mit Verantwortung zu tun?
Dem Künstler in dieser Hinsicht einen Vorwurf machen zu wollen, hieße seinen künstlerischen Ansatz grob zu missachten, denn das Gegenteil ist der Fall! Fuhrmanns Kunstwerke sind nicht die Vehikel zur effekthascherischen Inszenierung einer Provokation, sondern vielmehr ein Fingerzeig auf die zuweilen Angst machende Normalität.
Also läßt Roland Fuhrmann sein Kunstwerk, das das Motiv des Bundesadlers zitiert und wie die jedem Kind bekannte zappelige Gliederpuppe mit dem typischen Strick zwischen den Beinen gebaut ist, fröhlich säbelrasselnd in Funktion gehen. In diesem, wie auch in einigen anderen Werken des Künstlers, fühlen wir eine Grundlast verborgen, derer sich der Künstler, ich-bezogen und zugleich stellvertretend für das Gemeinwesen, zu entledigen sucht.
In einer Zeit, in der aus sog. Bedrohungsanalysen, die das Bundeskabinett anfertigen lässt, neue Sicherheitsdoktrin Deutschlands folgen, darf man sich Sorgen um die Art der Bekämpfung der Bedrohung machen, auch mit künstlerischen Mitteln, gerade weil deutsche Interessen ‚im Zeitalter der Globalisierung nicht allein geografisch definiert‘ werden, wie DER SPIEGEL in Bezug auf das neue ‚Weißbuch‘ von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) dokumentierte. [1]
Also lässt Roland Fuhrmann sein Kunstwerk, das das Motiv des Bundesadlers zitiert und wie die jedem Kind bekannte zappelige Gliederpuppe mit dem typischen Strick zwischen den Beinen gebaut ist, fröhlich säbelrasselnd in Funktion gehen.
In diesem, wie auch in einigen anderen Werken des Künstlers, fühlen wir eine Grundlast verborgen, derer sich der Künstler, ich-bezogen und zugleich stellvertretend für das Gemeinwesen, zu entledigen sucht. Dabei fällt auf, dass aus diesen, mit ironischen Brechungen und interpretatorischen Widerhaken versehenen Objekten Fuhrmanns nicht die stereotype Mahnung zur ‚Erinnerungsarbeit‘ herausschallt, mit der der linke Mainstream seit Jahren die Debatten um deutsche Vergangenheit und nationale Identität dominiert, sondern vielmehr einer sehr persönlichen Neigung zur Aufklärung ohne tugendterroristischen Anspruch Raum gegeben wird. Blutige Revolutionen seien Dank der menschlichen Dummheit notwendig, meinen die mit Bakunin argumentierenden Moralapostel, auch wenn sie von Übel seien… nicht nur in Anbetracht der Opfer, sondern auch um der Reinheit der Ziele willen, in deren Namen sie geführt werden. Doch ‚alle generalisierenden Normen, Wertmaßstäbe und idealisierenden Denkkonstruktionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie von den Tatsachen und Ereignissen abheben. Absehung von den Besonderheiten ist schon Gewalt. Das unvergleichliche Konkrete wird dem Allgemeinen geopfert.‘ [2]
Roland Fuhrmanns Fortifikationsmaschine (‚Fortification‘) ist ein Symbol für die „Barrikade in Permanenz“ von der die selbsternannten ‚Fortschrittlichen‘ orakelten. Wo schritten sie eigentlich hin? Die blutige Revolution, die als Vehikel der Übergangszeit zum paradiesischen Zustand existieren muss, wie auch die Genossen der RAF träumten, wann, mit wieviel Toten auf beiden Seiten des Schützengrabens, sollte sie enden? Und welche Antwort hätte es auf Stalins Lager oder die real existierende Gerontokratie in der DDR gegeben? Die RAF/STASI-Verbindungen, von denen nach dem Ende der DDR zu lesen war, weisen die Richtung. Die Quartiermacher der Terroristen waren bereits zu DDR-Zeiten erfolgreich in Sachen Ruhestandsregelung auf Arbeiter- und Bauern-Niveau. Wäre diese Schurkenstaats- Strategie früher ans Licht gekommen, hätte auch der linke Zeitgeist ‚Verrat!‘ gerufen, freilich aus anderen Gründen, eben weil ein Privatier im ‚Freiheitskrieg der Menschheit‘ nur ein Deserteur sein kann.
Die Denk- und Kampfschablonen des linken Konformitätsdrucks sind bis zum heutigen Tag auf Konflikt programmiert. Bewusst wird ein Klima der Furcht geschürt, um Herrschaft abzusichern. Wer von der ‚permanenten Revolution‘ redet, wünscht sich ‚Krisen und Feinde‘. Auch ein Regime, wie das im Iran etwa, verschärft bewusst seine Außenpolitik, weil es die ‚kontrollierte Konfrontation‘ mit dem Westen sucht. Vor Annäherung schreckt man zurück, weil Einmischung in innere Angelegenheiten befürchtet wird. Der bekannte Ausspruch „Wir haben die Revolution nicht gemacht, um die Demokratie zu bekommen“, stammt keineswegs von einem Salonbolschewisten des vergangenen Jahrhunderts, sondern von Irans oberstem Revolutionshüter Mahmud Ahmadinedschad.
Fuhrmanns ‚Fortification‘ lässt uns erkennen, dass die politische Korrektheit ein Instrument der geistigen Gleichschaltung ist und somit in der modernen Kulturgeschichte einen außergewöhnlichen Präzedenzfall zensorischer Manipulation im politischen Willensbildungsprozeß des Menschen darstellt.
In dem aggressiv vor sich hinwalzenden Kunstobjekt Fuhrmanns, einem Spiegelbild des politisch korrekten Wächteramts, wird veranschaulicht, wie sich extremistische Auffassungen ausdauernd gegen Kritik immunisieren indem sie ihr Abgrenzungsbewusstsein verteidigen.
Aus der Tugend des Glaubens sollte freilich folgen, dass wir nicht Glaubenspositionen dekretieren. Denn keiner von uns verfügt über den Glauben, weder über den eigenen noch über fremden.
In ‚Fahneneid‘ und dem Video ‚Die missglückte Jugendzeit‘ befasst sich Roland Fuhrmann mit Fragen der familiengeschichtlichen Tradierung bzw. mit der transgenerationellen Weitergabe von Erfahrung und mit deutscher Erinnerungskultur.
In den 1980er Jahren bekam der Künstler von seiner Großmutter eine Kiste mit Fotonegativen geschenkt. Als er sie kürzlich wieder fand und digitalisierte, öffnete sich vor seinen Augen ein unvermutetes fotografisches Panorama des Alltags seiner Familie im Deutschland der Nazizeit, einschließlich einiger Schnappschüsse von Kindern in SA-Uniform und eines gewebten Führerporträts an der Wohnzimmerwand.
Viele Deutsche wollen die Gegenwart der Vergangenheit nur in überwundener und für sie unschädlicher Form erleben. Roland Fuhrmann hat aus den authentischen Vergangenheitszeugnissen eine eigene Geschehenswelt konstituiert, die vor allem von der Emotionalität seiner Darstellung getragen wird. Er autorisiert seine Sicht dabei nicht als deutender Beobachter von außen, sondern gleichsam von innen, als Träger von ‚Erfahrung‘.
Beide Werke können als Ergebnisse einer gesellschaftlich verdrängten, verleugneten, und marginalisierten Erfahrung angesehen werden. Über ihre sinnliche Präsenz hinaus markieren sie die in der westlichen Welt und vor allem in Deutschland tief greifende Verschiebung des geschichtskulturellen Wertesystems seit den 1960er Jahren bei der die alten nationalen Heldenerzählungen durch eine opferzentrierte Geschichtskultur abgelöst wurde. An die Stelle einer Vergangenheitsbewältigung, die den Schlussstrich erhofft, ist die Daueraufgabe der Vergangenheitsaufarbeitung getreten.“ Christoph Tannert

[1] Schlappe für Jung, in: DER SPIEGEL 42/2006, S. 20.
[2] Werner W. Ernst: Herrschaftsform und Ethik, in: Niemandsland, Zeitschrift zwischen den Kulturen, Galrev Verlag, Berlin, Heft 10/11, 1992, S. 232.